Sehsüchte 2019 – Das Festival – Filme

Showcase Film University Babelsberg

Der Zuschauer nimmt eine Perspektive knapp über dem Boden ein. Im Hintergrund fährt eine Bahn, Flugzeuge sind in der Ferne zu hören. Zwei Frau rufen nach einem drolligen Terrier, er kann sie eher hören als sehen, denn seine Haare reichen weit über die Augen. Hunde laufen umher, holen eine Frisbee-Scheibe.

Der angehende Regisseur Louis Marioth zeigt den Zuschauern die Welt aus der Sicht eines Hundes, der neben Lilly, Holly, Tascha, Hela, Tyson, Taja, Pearl, Peaches und Othilie seine Umwelt betrachtet.

Kameramann Robert Schulzmann bringt den Zuschauer auf Augenhöhe mit den Vierbeinern. Die menschlichen Darsteller sind nicht im Fokus. Allenfalls sieht man die Beine, in Winterstiefeln oder barfuß. Man erfährt, dass der Mutter und ihren Freundinnen Mallorca zu kalt ist und sie lieber nach Dubai weiterfliegen wollen. Nebenbei hört man, dass die Frau heute noch eine Nachuntersuchung wegen ihrer Krebserkrankung hat. Sie macht sich auf den Weg, der Mann bleibt alleine zurück, er schläft ein, die besockten Füße bewegen sich noch ein paar mal. Die Hunde schlummern auf ihren Lieblingsplätzen.

-Ende-

Eine Minute haben sich Regisseur Simon Ostermann und Produzentin Elena Winterer genommen, um die Träume der „kleinen

Prinzessin“ zu zeigen und in der letzten Einstellung auf den Boden zu bringen. Der Clip läßt den Zuschauer fragend zurück. NRA? Trump? Realität in den USA? Wie geht es weiter in Deutschland?

Sicherlich fordert der Kurzfilm mehr Zeit zum Diskutieren, als er gedauert hat.

Die Reihe Showcase Film University Babelsberg zeigt insgesamt noch vier weitere Kurzfilme. Filmisch sehr gut in Szene gesetzt, lassen sie den Zuschauer am Ende ohne Antworten zurück. Sie nehmen Menschen in den Mittelpunkt, reißen die Oberfläche an, aber sie geben keine Antworten. Klassisches deutsches Kino?

Showcase Communication University of China

Eindrücklich inszenierte Bilder stellen die junge Frau in den Mittelpunkt. Sie wird dargestellt, wie sie ihren Dienst in einer Mautstelle irgendwo an einer einsamen Straße in China aufnimmt. Der Vorgesetzte erläutert den beiden neuen Mitarbeitern die Grundzüge der Tätigkeit. Das wichtigste ist: nicht Einschlafen. Die Frau zeichnet Labyrinthe, die sie auch mal an einen sympathischen jungen Autofahrer weitergibt. Die Begegnungen werden häufiger, sie erhält die Lösungen für die filigranen Labyrinthe. Bis sie einen Schlussstrich zieht.

„Mit einer Prise Humor entsteht eine Hommage an die schönsten Romanzen der Filmgeschichte.“ (Programm Sehsüchte explore)

Eigentlich war es keine Wunschhochzeit vor 65 Jahren, als sich die Großeltern fanden. Ein Heiratsvermittler hat die beiden 80-jährigen zusammengebracht. Aber eine Ehe ist eine Verbindung, die man nicht einfach lösen kann. Der Film von Dong Wu und Yi Wu läßt das Leben der Großeltern Revue passieren. Heirat, Kinder, Beruf, politische Ansichten, Besuch von Studenten aus dem feindlichen Amerika, die die Enkeltochter zum Haus ihrer Großeltern begleiten. Das von den Kindern neu gebaute Haus, in das die Eltern nicht einziehen. Die alte Medizinbox des Großvaters. In Bildern und in gekonnt teilweise witzig geschnittenen Diskussionen nehmen die beiden Produzenten den Zuschauer geschickt mit durch das Leben der Großeltern. Auf dass die Kräuter der Frau den Blutdruck des Mannes noch lange behandeln können und die Frau dank Morgengymnastik noch lange den schweren Boden des Feldes beackern kann. Denn es kommt der Winter mit der Regenzeit…

Ein Manga bzw. chinesisch Manhua war der dritte Film im Showcase Communication UoC. Erzählt wird eine kasachische Sage in bunten Bildern. Ein Mädchen kehrt nach dem Tod der Mutter in ihren Heimatort zurück. Der Vater betraut sie mit einer Aufgabe, die sie in kindlicher Leichtigkeit nicht richtig ernst nimmt. Sie korrigiert den Fehler und kommt in eine bunte Welt der Fantasie.

Die Filme der Universitäten aus Potsdam und Peking haben unterschiedliche Ansätze. Die Ursachen sind sicher in den politischen, philosophischen, kulturellen und historischen Wurzeln zu finden. Interessant ist es, durch die gezeigten Filme Denkanreize zu erhalten. Insbesondere, wenn dies auf sehenswerte und unterhaltsame Art erfolgt.

Dramaturgie im Dialog: Ruth Toma und Timo Gößler

Timo Gößler, Dozent an der Filmuniversität begab sich in den Dialog mit Ruth Toma, einer der renommiertesten Drehbuchautorinnen in Deutschland. In den vergangenen 25 Jahren hat Ruth Toma 32 Drehbücher geschrieben. Zuvor war sie in einem Zirkuskollektiv tätig. Auf die Erfahrungen dieser Zeit konnte sie zurückgreifen, als sie nach einem Filmstudium begann, als Drehbuchautorin tätig zu werden. Ihr bisher letztes Werk ist der Film „Der Junge muss an die frische Luft“ nach dem autobiografischen Roman von Hape Kerkeling.

Die Schilderungen ihrer Arbeitsweise, das Herangehen an neue Stoffe, die Unterschiede zwischen einem Drehbuch nach einer Buchvorlage, nach einer wahren Begebenheit oder einem fiktiven Stoff, schildert sie in dem Dialog.

Die Autorin vermittelt einerseits die Leichtigkeit, mit der sie diese Aufgaben angeht. Andererseits kommt auch deutlich zum Ausdruck, dass Drehbuchschreiben auch ein Handwerk ist, für dass man vielfältige Werkzeuge beherrschen muss. Teamwork, Selbstreflexion und Talent sind weitere Dinge, die sie in anscheinend spielerischer Art miteinander kombiniert.

Als Mitunterzeichnerin von Kontrakt 18 macht sie auch auf die mangelnde Wahrnehmung der Drehbuchautoren in Deutschland aufmerksam. Sie richtete sich dabei auch konkret an Journalisten. Gerade die im Medienbereich tätigen Pressevertreter sollten um die Rolle der Autoren wissen.

Persönlich habe ich den Eindruck, dass sich das in der letzten Zeit gebessert hat. Ob das beim Publikum schon angekommen ist, kann man nicht sagen. Der Verband der Drehbuchautoren ist diesbezüglich auf vielen Kanälen unterwegs. Beachtenswert ist z.B. der Podcast „Stichwort Drehbuch“, der regelmäßig über die Hintergründe und Entstehung aktueller Drehbücher berichtet.

 

Fazit

Sehenswerte Filme, interessante Einblicke, Denkanstöße. Das Festival Sehsüchte war ein guter Grund, trotz Kurze-Hosen-Wetter und Sonnenschein Zeit im Kino zu verbringen. Viele haben die Möglichkeit genutzt und waren gut beraten.

 

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